von Justus Willebrand

Schnee. Überall Schnee. Meterhoch liegt er. Und oben leuchtet der Himmel. In Grün, Orange, Rot und Lila. Durch hüfthohen Schnee zu stapfen und dabei die legendären Nordlichter wirklich live zu sehen, ja das waren so die Dinge, die ich unbedingt erleben wollte während meines Erasmus-Aufenthaltes. Und wo ginge das besser als an der nördlichsten Partneruni des KIT? An der Luleå University of Technology in dem kleinen Städtchen Luleå, knapp 100 km südlich vom Polarkreis und rund 1.000 km nördlich von Stockholm. Luleå liegt an der Grenze zu Lappland und ist mein Zuhause seit August 2019.

Doch eigentlich möchte ich die ganze Geschichte erzählen, also gehen wir zurück in den November 2018. Hier begann meine aufwendige Suche nach einem Aufenthaltsort für mein Erasmusaustausch. Dieser war fest eingeplant in mein Studium. Auch die Entscheidung gleich zwei Semester ins Ausland zu gehen, stand für mich bereits fest. Wer zwei Semester geht, bleibt nämlich knapp 10 Monate, wer ein Semester geht, oft nur 4 Monate. Diese Zeit erschien mir zu kurz, um mich richtig einzuleben in einer fremden Stadt. Und rückblickend war das die absolut richtige Entscheidung. Nach viel Recherche und Gesprächen mit ehemaligen Austauschstudenten fiel meine Erstwahl dann also auf Luleå, eine Stadt von der ich zuvor noch nie gehört hatte. Da ich wirklich sicher gehen wollte, meine Erstwahl zu bekommen, habe ich in die Bewerbung viele viele Stunden Arbeit gesteckt. Das zahlte sich dann auch aus als wir im Januar die Ergebnisse bekamen. Ab diesem Zeitpunkt begann die wirklich aufwendige und langwierige Suche nach Kursen für die Anerkennung. Während einige Lehrstühle dieses Vorhaben sehr wohlwollend unterstützen, waren andere extrem formalistisch bis starrköpfig, so dass zeitweilig das gesamte Vorhaben auf der Kippe stand, weil willkürlich die Anerkennung von Kursen abgelehnt wurde, welche andere Studenten sogar im gleichen Anlauf, bewilligt bekamen. Daher mein Tipp: hartnäckig bleiben und immer nach Begründungen für Absagen fragen. Das WiWi-Auslandsbüro und das International Office waren allerdings sehr hilfreiche Ansprechpartner, so dass am Ende dann doch alles geklappt hat.

Im August ging es also los nach Schweden. Ich verbringe übrigens die Bachelorsemester fünf und sechs an der schwedischen Uni. Da die Anerkennungen nicht für 30 ECTS pro Semester reichten, kann danach allerdings von Regelstudienzeit, zumindest bei einem zweisemestrigen Aufenthalt, keine Rede mehr sein, aber das ist es absolut wert! Unterstützt wird man vom Erasmus Programm mit 450 € monatlich in Schweden. Eine Unterkunft musste ich mir glücklicherweise nicht suchen in Luleå, da die Uni den Austauschschülern verschiedene Optionen anbietet und so habe ich eine schöne 22 qm große Wohnung mit Kochnische und Bad in einem wunderschönen schwedischen Wohnheim, knapp 5 Minuten von der Uni entfernt, bekommen. Das Ganze kostet 290 € monatlich und ist damit zwar deutlich weniger als meine Wohnung in Karlsruhe. Da allerdings die Lebenshaltungskosten in Schweden extrem hoch sind, muss man sich darauf einstellen, dass der Erasmus-Zuschuss allein dennoch nicht ausreichen wird und man sicherlich noch einige hundert Euro zusätzlich im Monat brauchen wird.

Direkt in der ersten Woche ging es los mit einer Art O-Phase für die knapp 200 Austauschstudenten an einer Uni mit ca. 15.000 Studenten. Organisiert wurde diese Woche von der lokalen ESN (Erasmus Student Network) Gruppe. Und diese O-Phase hatte es wirklich in sich, sodass am Ende wirklich keiner mehr allein war und man auf Anhieb fast alle anderen Erasmusstudenten kannte. Damit war der Anschluss geschafft.

Obwohl ich einen Schwedisch-Grundkurs bereits in Karlsruhe besucht hatte, ging es für mich an der Uni eine Woche später dann doch lieber auf Englisch los. Die Uni bietet eine riesige Auswahl an englischen Kursen an, sodass man wirklich kein Problem hat, etwas Passendes zu finden. Generell spricht hier fast jeder Englisch und man kommt problemlos ohne Schwedisch durch den Alltag. Ein Schwedisch-Erweiterungskurs an der Uni hilft aber schon gut weiter, und nach über 7 Monaten kann ich im Alltag schon deutlich mehr als nur eine Pizza zu bestellen.

Die Kurse an der Uni sind meist etwas praktischer orientiert als die typischen KIT Vorlesungen. In jedem Kurs werden Reports geschrieben und man muss sich oft mit Kommilitonen treffen, um Gruppenarbeiten und Präsentationen vorzubereiten. Ganz besonders positiv ist mir der Kontakt mit den Lektoren und Professoren aufgefallen. Professoren kennt man meist nur beim Vornamen und kann diese immer per Mail erreichen oder einfach im Büro vorbeischauen. Insgesamt gefällt mir der Studienalltag sehr, da hier weniger Selbststudium gefragt ist und mehr im Austausch und Diskurs mit anderen Studenten und Lehrkräften erarbeitet werden soll.

In meiner Freizeit bin ich dem lokalen Eishockeyteam beigetreten, das von langjährigen und ehemaligen Austauschstudenten perfekt organisiert wird. Mitmachen darf wirklich jeder, egal wie gut man es kann. Ich hatte es vorher noch nie gespielt, habe aber jetzt so richtig Spaß daran bekommen. Drei Mal die Woche Training abends ab 21.30 Uhr war eine großartige Bereicherung des Alltags. Ansonsten habe ich fast jeden Tag mit anderen Erasmusstudenten gekocht und die Abende verbracht. Ich habe das Gefühl, dass gerade in einer so kleinen Stadt wie Luleå der Zusammenhalt irgendwie intensiver ist. Besonders im Winter, als die Sonne uns bereits nach zwei Stunden teilweise vor 13 Uhr schon wieder verlassen hatte. Eine sehr intensive Erfahrung, die aber für mich eher interessant als belastend war.

Und natürlich als „Entschädigung“ dafür unvergleichliche Nordlichter, teilweise über mehrere Stunden und in einer Intensität, die kaum in Worte zu fassen ist. Ein weiteres Highlight, welches Luleå bietet, ist die Ice Road. Der Stadtkern, welcher in einem Archipelago liegt, ist umgeben von Wasser, welches bereits ab Oktober gefroren war, sodass wir dort fast täglich Schlittschuh laufen konnten über eine riesige Eisfläche von mehr als 15 km (!) Länge, die oft menschenleer war. Dazu die sich stundenlang hinziehende Sonnenuntergänge auf dem gefrorenen Meer – eine unvergleichliche Alternative zu Karibik-Sonnenuntergängen. Am Wochenende trafen wir uns zu teilweise legendären Partys mit diversen Kaltgetränken bei guter Musik und Dancefloor im sogenannten STUK, dem Studenten-Club direkt auf dem Unicampus.

Ich hatte noch Kontakt zu einem Husky-Hundeschlitten Betrieb, bei dem ich öfter aushelfen konnte und an unvergesslichen Husky-Touren teilnehmen konnte. Neben den lokalen Freizeitbeschäftigungen in Luleå selbst, haben wir mehrere größere Trips unternommen. Dann wurden ein oder zwei Vans gemietet und mit bis zu 15 Personen ging es nach Norwegen zu den Lofoten oder nach Tromsø, nach Finnland zum Ski fahren oder noch weiter in den schwedischen Norden. Neben unseren eigenen Trips durch Skandinavien war ich noch bei Trips nach Russland, Tallin, Helsinki und Stockholm dabei, welche von unserer ESN Gruppe organisiert wurden. Wir haben hier mittlerweile wirklich alles abgegrast und jede größere Stadt und Sehenswürdigkeit in Nordskandinavien gesehen und man kann sagen: das allein war definitiv diesen Aufenthalt wert!

Noch ein kleines Extra: In der Uni gibt es den Kurs „Snow & Ice“ welcher sich mit Allem rund um das kühle Nass befasst. Dabei haben wir in dreiwöchiger Handarbeit auch ein großes Iglo auf dem Campus gebaut und am Ende noch einen dreitägigen Ausflug auf eine schwedische Militärbasis gemacht, auf der wir von schwedischen Soldaten eine Art Kälte-Crashkurs bekommen haben und innerhalb von zwei Tagen unser eigenes Iglo bauen mussten, in welchen wir auch bei -12 Grad Außentemperatur übernachteten.

Iglo bauen für 7,5 ECTS

Abschließend kann ich Erasmus wirklich JEDEM empfehlen! Es ist unglaublich toll, Leute aus allen Teilen der Welt kennenzulernen und mit diesen solche einzigartigen Aktivitäten zu erleben. Dazu kommt eine neue Erfahrung der Lehre an der Uni. Und wenn ich jemandem eine Stadt empfehlen müsste, es wäre Luleå. Hier herrscht ein unglaublicher Zusammenhang und alle Einwohner geben ein tolles Wir-Gefühl ab. Es ist ganz schwer zu beschreiben, nur so viel: Es gab mehr als eine Handvoll Freunde, die ihren ursprünglich einsemestrigen Aufenthalt verlängert haben. Wer jetzt denkt, das wäre auch etwas für mich und mehr Infos über diese Stadt haben will, kann mich gerne anschreiben! (@justus_van)

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