„Lasst uns nach Schweden trampen!“, sagte ich zu Kommilitonen Anfang des Jahres. Und das rief zahlreiche positive Reaktionen hervor. Ich wollte schon immer mal eine größere Trampaktion mit Freunden starten. Klar, trampen ist ja schließlich ein großes Abenteuer vor der eigenen Haustür, kostet nichts und ist gleichzeitig noch umweltfreundlich. „Natürlich bin ich am Start“, meinte da Jonny, ein Mitbewohner von mir. Ich gründete also erst einmal eine WhatsApp-Gruppe, wie man das heutzutage eben so macht. Dort war dann schnell das Mission-Statement in typischer Wiwi-Manier festgelegt: „Make Trampen Popular Again“. Konkret hieß das: Wir würden in zweier Teams zu einem schwedischen Sommerhaus bei Gregersboda nördlich von Stockholm trampen. Dabei war es nicht wichtig, als erstes dort anzukommen, sondern unterwegs Punkte in Form von erfüllten Aufgaben zu sammeln. Die Aufgaben hießen beispielsweise: „Gehe zur Rammelburg und mache ein Bild in Rammelpose!“ – drei Punkte, „Fahre nach Uppsala und finde fünf verrückte Studierende auf dem Campus“ – fünf Punkte, „Wandere auf den Schneeberg im Fichtelgebirge“ – sechs Punkte oder„Fahre nach Weiden und finde dort eine Weide mit Tieren!“ – vier Punkte. Geschlafen wurde in Zelten, Hostels oder bei Bekannten. Das ungeschriebene Gesetz dabei war natürlich: Keine Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln!

Je näher der Tag des Starts rückte, sprangen leider mehr und mehr Leute ab. So blieben am Ende mit Julian, Sven, Jonny und mir noch vier Helden übrig, die sich der Herausforderung stellten. Also gerade genug Personen, um die Trampaktion durchzuführen: Team 1 waren Jonny und Jens und Team 2 waren Sven und Julian. Los ging es ganz traditionell studentisch am AKK.

Ausgestattet mit Rucksäcken voller Campingausrüstung, Essen und Pappschilder, machten wir uns vom AKK auf den Weg zur Autobahn. Dann hieß es: Daumen raus, Pappschild hochhalten, nett lächeln, einen gepflegten Eindruck machen und natürlich hoffen, dass sich jemand erbarmt, uns mitzunehmen! Und kaum zu glauben, nach zehn Minuten Wartezeit saßen beide Teams in einem Auto. Der Weg war nun zum Ziel geworden und Deutschland und Schweden sollten auf eine ganz neue Art und Weise entdeckt werden, immer in spannender Erwartung, wer als nächstes anhalten würde.

Unsere erste Mitfahrgelegenheit tauften wir schnell die „Badener Bumser“, da die beiden Jungs sich auf dem Weg in ein nahegelegenes Freudenhaus befanden. Team 2 wurde von einer VW-Bus Besitzern mitgenommen, die diesen als ihren Wohnsitz bezeichnete und ihnen von ihrer nächsten außergewöhnlichen Geschäftsidee mit selbstgemachtem Baumperlenschmuck erzählte. Das anfänglich komische Gefühl im Magen war rasch verschwunden und wir tauschten Geschichten mit unseren Fahrern aus.

Dabei lernten wir binnen kurzer Zeit, dass es zwei Haupttypen von Fahrern gibt:„Den Neugierigen“, der anhält, um unseren Erzählungen zu lauschen oder „den Redner“, der auf der Suche nach Zuhörern für seine Geschichten und Ansichten ist. Tina, eine 35-Jährige herzliche Mini Cooper Fahrerin, war vom Typ „Neugierig“ und stoppte in voller Fahrt in der Dämmerung bei Nürnberg mitten an einem Autobahnkreuz und nahm uns in etwa mit folgender Aussage mit: „Wer ist denn so bekloppt mit großen Backpacks kurz nach Sonnenuntergang im Dämmerlicht mitten auf der Autobahn zu trampen?!? Diese Jungs können ja nur cool sein und deren Geschichte muss ich hören!“ Adem, ein 50-Jähriger fleißiger Kosovare, war dagegen ein klassischer „Redner“. Er arbeitetseit knapp 30 Jahren in Deutschland im handwerklichen Bereich und hatte dort schon fast alle Berufe ausgeübt und riet uns tiefgründig: „Juuungs, ihr müsst jetzt schaffe gehe, solange ihr es noch könnt.Jetzt seid ihr jung und fit und könnt so richtig Geld anhäufen!“ Häufig nahmen uns allerdings auch Leute mit, die einfach nur was Gutes machen wollten und uns daher aufsammelten. Sie finden sich wohl irgendwo zwischen Typ „Redner“ und „Neugieriger“ wieder. Diese Kategorie traf auf die 28- Jährige Anja zu, die einen sehr schlechten Tag bei der Arbeit hatte und diesen mit einer guten Tat beenden wollte oder auf Magnus, den schwedischen Blumenmann, der in Schweden den ganzen Tag von Tankstelle zu Tankstelle Blumen ausfährt und der Ansicht ist, dass durch Helfen jeglicher Art die Welt zu einem besseren Ort wird.

Die vielen Gespräche auf unserem Weg boten uns die Chance einen neuen Blickwinkel auf unsere Gesellschaft zu erhalten. Detlev, ein 24h-Altenpfleger aus Thüringen, arbeitet 60 Stunden die Woche und ließ sich über die Deals der Pharmaunternehmen aus. Sabine, die ruhige freundliche MS- Patientin, erzählt uns, wie ihre Ehe aufgrund ihrer Krankheit in die Brüche gegangen ist. Und Janne, ein alleinstehender Schwede mit Haus am See, berichtete uns, wie seine Frau eines morgens in den See gegangen ist und dann nicht mehr zurückkehrte. Oder der bosnische Gleitschirmflieger Armin, erzählte uns, wie er aus dem Bosnienkrieg 1994 geflohen war und später seinen verwundeten Vater auf CNN entdeckte. Als wir all diese Geschichten und persönlichen Schicksalsschläge hörten, wurde uns wieder bewusst, wie egal uns doch eigentlich eine schlecht gelaufene Klausur oder andere Kleinigkeiten sein sollten.

Ein weiterer Aspekt, den wir beim Trampen erlebten ist, dass man wohl selten an einem Tag so oft zwischen kompletter Frustration und hohem Glücksgefühl hin- und herschwankt. Das beste Beispiel dafür ist wahrscheinlich die Art und Weise wie wir nach Rügen gelangten. Wir hatten uns zur Halbzeit nach zwei Tagen mit Team 2 auf einem Campingplatz dort verabredet, um zusammen am nächsten Morgen die Fähre nach Schweden zu nehmen. Allerdings wurden Jonny und ich an diesem Tag etwas größenwahnsinnig und dachten, wir könnten zur späten Nachmittagsstunde noch in das mecklenburgische Land hineintrampen, um dort einen lukrativen vier Punkte Checkpoint, frei nach dem Motto „No risk, no fun“, einzusammeln. Dieser war aber noch über 150 km von unserem Ziel entfernt. Und so kam, was kommen musste: Wir blieben dort stecken. Es wollte einfach kein Auto mehr anhalten. Nach langen 45 Minuten für deutsche Trampverhältnisse, hielt endlich ein herzlicher Hamburger an. Da war die Freude natürlich riesig und das stoppende Auto wurde plötzlich zum Größten auf der Welt. Diese Freude wurde aber noch intensiviert, als der Hamburger uns im Anschluss an einem Park & Ride Parkplatz an der Autobahn raus ließ. Dort stieg gerade eine Frau in das einzig dort geparkte Auto. Autokennzeichen RÜG für Rügen. „Jackpot!“, dachten wir. Und das war dann tatsächlich der Jackpot der Reise! Die Frau kam gerade von einem Wochenende auf der Mecklenburgischen Seenplatte und hatte einen großen Topf Gulasch übrig, den wir aufgrund von Platzmangel im Auto erstmal aufessen mussten. Sie ließ uns da gar keine andere Wahl. Während der Fahrt erzählte sie uns dann, dass sie Besitzerin einer Pension direkt in der Nähe der Fähre nach Schweden ist und lud uns kurzerhand ein, bei ihr zu schlafen. Der Moment, als wir dann kurz nach Sonnenuntergang am Strand nahe der Pension auf Julian und Sven trafen war unglaublich. Wir konnten alle nicht glauben, was für ein Glück man im Leben doch haben kann.

Mit dieser Reise und all den Menschen, die wir trafen, fanden wir wirklich das Abenteuer direkt vor unserer Haustüre und mussten dafür nicht einmal um die halbe Welt fliegen. Trampen ist für mich nicht nur das, sondern gleichzeitig auch Freiheit, Leben des Moments, soziale Verständigung, Horizonterweiterung, Fallenlassen von Vorurteilen und Inspiration. Ich habe gelernt die kleinen Dinge im Leben wieder vielmehr zu schätzen. Aber vor allem habe ich gelernt, wie wichtig das Gespräch und die Verständigung untereinander ist, um verschiedene Ansichten und Situationen aller möglicher Menschen zu verstehen. Ich kann daher nur jedem empfehlen dieses Abenteuer einmal auf sich zu nehmen. Es lohnt sich in zahlreicher Hinsicht!

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