Coffee is the only thing I like integrated


Malcom X

Es gibt Dinge im Leben, die sind bestechend einfach. Wasser kommt aus dem Hahn, Strom aus der Steckdose und Kaffee gibt es als Pulver in Vakuumverpackung. Soweit die Theorie. Und wäre nicht gerade Vorlesungszeit – die eigentlichen Semesterferien des Studenten – man würde es dabei belassen. Wasser, Brot, Aufputschmittel. Carpe Diem! Auf in den Kampf.

Doch es ist jene Zeit im Jahr, in der Module gewählt, fantastische Klausurenpläne erstellt und Grillexzesse vollführt werden. Ergo: Zeit für die feinsinnigeren Dinge im Leben. Zeit für Idealismus – Zeit, um einen Blick aus dem Hamsterrad hinaus zu wagen. Aber, wie starten mit der kleinen Revolution aus dem WG-Zimmer, dem Aufstand der Bildungselite?

Klassischer WiWi-Ansatz aus dem Lehrbuch: Man tue jene Dinge, von den man überhaupt nichts versteht. Für uns Kugelschreiber-Jongleure und Excel-Gurus bedeutet das: Flex, Schneidbrenner, Nieten. In dieser Reihenfolge. Ende mit dem Kaffee aus dem Supermarkt. Wir machen es selbst – und zahlen das Doppelte bei halber Qualität.

Das Experiment führt uns an Orte, an denen man sich in seine Kindheit zurückversetzt fühlt. Neugierig und ziellos steht man vor den langen Gängen des Baumarkts und sucht zwischen Gerüstbohle und Stemmhammer nach den Grundsteinen dessen, was die Welt ein Stück weit verändern soll. Stets mit hilflosen Blick und in der Hoffnung von einem dieser knurrigen Männer im Blaumann an die Hand genommen zu werden. Jene Männer, die zum Frühstück ein Bier und zwei Korn verzehren und die Welt um einen herum doch zu verstehen scheinen.
Statt sich nun noch lange mit den Details der Metallverarbeitung aufzuhalten, starten wir lieber direkt voll durch. Handwerken haben wir im Blut. Das liegt uns – das können wir. Da lief mal was auf N-TV. Schnell noch ein skizzenhafter Plan – räumliches Zeichnen war noch nie unsere Stärke – vom Nachbarn die Garage erschnorren, Werkzeug „kurz ausleihen“, ein Kasten Pils rein, Pin- Up Kalender aufhängen – fertig ist die Werkstatt.

An dieser Stelle passiert es. Der jahrelang vom Bildungssystem unterdrückte Instinkt des Mannes bricht heraus. Aus Hans Wiwi wird MacGyver. Jeder Hammerschlag eine Befreiung, jeder Schritt ein Teilerfolg und abends das vergessen geglaubte Gefühl, etwas geleistet zu haben. Was kann man sich als ewig Getriebener des schlechten Gewissens besseres vorstellen?

Mehrere Tage werden ins Land ziehen, bevor der Moment kommt, an dem das Werk vollendet ist. Der Weg ist gesäumt von Rückschlägen, dramatischen Fehlkonstruktionen, Schnittwunden, Resignation. Doch es gab sie auch, die jubelnden Momente, das anerkennende Schulter- klopfen – Männerfreundschaften im Härtetest. Am dritten Tag kommt dieser eine Augenblick, der alle Strapazen verblassen lässt. Der Moment des Triumphes. Der Kaffee-Röster ist bereit. Das Kupfer erstrahlt in vollem Glanze. Ein Zeugnis unserer Durchhaltekraft und des unbedingten Willens, die Welt zu verändern. Die rotierende Kapitalismuskritik kann ihre Arbeit aufnehmen. Heißluft an und rein mit den grünen Bohnen. Fachsimpelnd und doch ohne die geringste Ahnung hatten wir diese in der Vorwoche geordert – selten herrschte größere Ahnungslosigkeit beim Kauf von Alltagsgütern. Äthiopien und Nicaragua. Eine offensichtliche Wahl. Verschiedene Kontinente gemischt. Das muss was taugen. Zwangsläufig.

Endlich der langersehnte Moment: Wir schmeißen den Röster an. Ein erstes Knarzen und Quietschen, aber er dreht sich – und hält. Wahre Ingenieurkunst, die uns mit Stolz den ‚Ing’-Titel tragen lässt. Die ersten Bohnen, hochwertiges Gut aus Südamerika. Vorsichtig geben wir eine Handvoll in unser Meisterstück. Banges Warten auf den ersten Crack. Aufgeregte Stille. Und da ist es zu hören, die Bohnen geben ein Geräusch von sich, wie Popcorn. Doch kommt jetzt das zweite Cracken noch, das so wichtig für die richtige Espresso- Röstung ist? Ob der Röster die vor- geschriebene Temperatur von 200°C erreicht hat, werden wir nie erfahren. Dem Diktat eines Thermometers wollen wir uns nicht unterwerfen. Doch die starke Rauchentwicklung unserer äthiopischen Bohne, die uns zuerst einen Brand vermuten lässt, spricht stark dafür, dass wir weit über das Ziel hinausgeschossen sind.

X-ter Versuch: Gelassenheit hat sich eingestellt. Tiefenentspannt auf dem Boden sitzend, mit einem Grape in der Hand, den Sonnenuntergang im Nacken. Entschleunigung und Ruhe in gestressten Zeiten. Wir beobachten die gleichmäßige Rotation des Rösters, riechen den angenehmen Duft der frischen Bohnen. Die Sorgen verschwinden im aufkommenden Rauch, während wir gebannt dem markanten Cracken lauschen. Man baut keinen Röster, weil man zu viel Geld hat. Man baut ihn nicht, des hochwertigen Kaffeegenusses wegen (der vielleicht nie erreicht wird). Der wahre Grund ist die aufkommende Zufriedenheit, etwas erschaffen zu haben, seinem angestrebten Abschluss gerecht zu werden und sich Nespresso, Senseo, Lavazza und Konsorten zu entsagen. Als Ziel: das pure Erleben eines Herstellungsprozesses, der uns im Alltag so einfach und selbstverständlich vorkommt – und uns nun doch so viel Genugtuung spendet.

Sonntag, 9. Juni: heute entscheidet sich, ob sich all die Mühe gelohnt hat. Nach zwei Tagen der Ruhe und des Reifens ist es soweit. Die Vollendung einer jeden Bohne. Der Moment der Wahrheit ist gekommen, die letzte Stufe ist erreicht. Eine Entwicklung, die im Kopf begann, handwerkliches Geschick erforderte, uns Geduld beim Rösten abverlangte, findet ihren Höhepunkt in der Kunst der Espresso-Zubereitung. Der Kunst des Barista. Sorgfältig werden die Bohnen zu feinstem Espressopulver gemahlen. Ein erster verführerischer Duft steigt auf. Der gefüllte Siebträger wird in die Maschine gespannt. Ein Knopfdruck später. Die Espressomaschine beginnt ihre Arbeit. Ein letzter Schritt, der uns vollkommen abhängig von der Technik und dem richtigen Druck macht. Sekunden, die wie eine Ewigkeit wirken. Und da ist es vollbracht. Ein Strahl in haselnussbraun findet seinen Weg in die Tasse. Nicaragua ist ein Traum. Kräftiges, breites Aroma. Herrlicher Tiefgang und eine Crema, die man nur bei so frischem Kaffee bekommt. Das Herz dankt es uns mit 180 Schlägen die Minute. Äthiopien wiederum gibt Rätsel auf. Irgendwo zwischen erdig und säuerlich. Kein einfacher Zeitgenosse. Es wird noch lange dauern, bis wir die Rätsel verstehen, die sie uns aufgeben. Aber eines ist sicher. Es gibt kaum ein größeres Hochgefühl, als über alle Zweifler erhaben zu sein. Das Experiment ist geglückt und wir können voller Zufriedenheit wieder an den Ort unserer eigentlichen Bestimmung zurückkehren.

‚Dieser Satanstrank ist so köstlichem dass es eine Schande wäre, ihn den Ungläubigen zu überlassen.‘ – Papst Klemens VI

von Johannes Neff, Moritz Schattka und Sebastian Palt

Share this via...
Share on Facebook
Facebook
Tweet about this on Twitter
Twitter
Email this to someone
email