Globalisierung kennt man aus dem industriellen Kontext, doch auch in unseren Alltag hat sie längst Einzug gehalten. Nach dem Abi verteilen sich alle in die Welt, machen Work and Travel, ein freiwilliges soziales Jahr in Südafrika oder Indien, WWOOFing in Nordamerika oder Sprachkurse in Südamerika. Im Studium geht es dann direkt weiter. Man nehme zum Beispiel das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Karlsruhe. Auf dem Papier stehen 10 Semester und 3 Monate Praktikum. Aber heutzutage ist es doch völlig normal, dass jeder mindestens 6 Monate Praktikum macht, teilweise sogar eins während dem Bachelor und noch ein zweites während dem Master. Davon am besten noch eins im Ausland, das andere findet tendenziell in anderen deutschen Städten statt, da Karlsruhe nicht die Industrie bietet, die für viele in unserem Studiengang vorrangig interessant ist. So zeigt unsere Umfrage, dass über 50% bereits ein Praktikum außerhalb Karlsruhes gemacht haben, welches im Schnitt 5,02 Monate dauerte. Ein oder zwei Auslandssemester dürfen während des Studiums natürlich auch nicht fehlen, der ein oder andere geht sogar zum Doppelmasterprogramm nach Frankreich oder Schweden. So waren 23% laut Umfrage bereits für mindestens 1 Semester im Ausland und 43% haben zeitnah einen Auslandsaufenthalt geplant.

Man könnte ja schon fast sagen das reicht an Mobilität, seit der Umstellung von Diplom auch Bachelor/Master ist es jedoch auch möglich mal eben noch zum zweiten Teil seines Studiums den Studienort zu wechseln. Dabei hat man europaweit, aber auch international viele Möglichkeiten, die von Stipendiengebern auch gerne noch finanziell unterstützt werden.

Die Globalisierung macht uns zu unabhängigen, weit gereisten und in viele Kulturen interessierten jungen Arbeitnehmern (oder Unternehmern) und begünstigt ein ganz anderes neues (altes) Phänomen: Die Fernbeziehung.

Früher noch ganz romantisch mit Briefen, die teilweise wochenlang unterwegs waren und mit einiger Verzögerung beim Geliebten in der anderen Ecke Deutschlands ankamen, dann lange teure Telefonverbindungen, die über Telefonisten hergestellt werden mussten. Aber zum Glück ist heute alles anders und es gibt Handys, Computer und sonstige Gerätschaften, die eine Kommunikation über mehrere tausend Kilometer ermöglichen.

Und ich? Ich bin selbst Opfer der Globalisierung geworden. Völlig unabhängig wie die meisten meiner KomilitonInnen habe ich einen zweisemestrigen Auslandsaufenthalt in Kanada geplant und mir schwuppdiwupp kurz vorher noch nen Kerl angelacht. Uns war die Problematik des Themas auffallend bewusst und wir waren ehrlich gesagt ziemlich skeptisch, ob man 9 Monate Fernbeziehung über 6500 km überhaupt als Paar überleben kann. Wenn man mit der Einstellung ran geht, kann es ja gar nicht klappen, mag der ein oder andere sagen, aber hey: Wir haben es geschafft.

Aber jetzt erstmal von vorne. Im Juli 2016 fiel die Entscheidung, sich über das Ontario-Baden-Württemberg-Programm (Mehr Infos unter http://obw.ouinternational.ca/) auf einen zweisemestrigen Austausch in Kanada zu bewerben. Zu diesem Zeitpunkt Single, natürlich alles gar kein Problem und aus meinen Auslandserfahrungen nach der Schule genau der richtige Zeitraum, um vollständig vor Ort anzukommen, mein Englisch ausreichend aufzubessern, Kontakte in alle Welt zu knüpfen und nebenbei natürlich auch noch mein Studium voran zu bringen. Wer Lust auf ein Auslandsjahr hat, dem sei gesagt: Tu es, bereuen wirst Du es keine Sekunde. Je nach Lebenssituation tut es aber vielleicht auch nur ein Semester. 😉

Nachdem alle bürokratischen Hürden genommen waren, ich ein Visum, eine Wohnung in Toronto und einen Flug über den Teich hatte (inklusive Rückflug), passierte es: Ich habe mich verliebt. Und dann natürlich die Frage wie geht man damit um. Meine Einstellung: Wegwerfen ohne zu probieren, ob es klappt, ist vielleicht nicht die klügste Entscheidung, auch wenn der Schmerz scheinbar am geringsten sein mag. Da es auch nicht mein erster Auslandsaufenthalt war, wusste ich auch, dass es kein Selbstfindungstrip für mich werden sollte, sondern vorrangig um sprachliche und akademische Weiterbildung ging. Nach einigem hin und her fiel also die Entscheidung es zu versuchen. Unsere Regeln:

  1. Offen und ehrlich über alle Probleme reden die auftauchen, auch wenn es ab und an zu Streit führt.
  2. Bestmöglichste Kommunikation über Telefon und WhatsApp (Wobei man sagen muss, dass wir hier komplett unerfahren waren, da wir vorher praktisch nur kommuniziert haben, wer fürs abendliche Kochen was noch schnell besorgen muss)
  3. Sollte es sexuelle Fehltritte geben: Drüber reden und offen besprechen. 9 Monate Enthaltsamkeit ist eine lange Zeit.

Die größten Herausforderungen für uns waren hier definitiv die ungeübte regelmäßige Kommunikation und die fehlende körperliche Nähe, sowie den Verlust (quasi) jeglichen Sexuallebens.

So ging es dann also los. Ich auf dem Weg gen Kanada, er auf halbem Weg ins Berufsleben als Berater – 50 Stunden die Woche und immer schön pendeln zwischen Projekt- und Heimatstadt. Wo da dann noch die Zeit bleiben soll, damit wir uns nicht voneinander entfernen und genügend voneinander mitbekommen, um eine Fernbeziehung möglichst angenehm am Leben zu halten, war mir schleierhaft. Nicht zu vergessen die 6 Stunden Zeitverschiebung, die dafür sorgen, dass mindestens 12 Stunden des Tages Funkstille ist.

Aber wir hatten zum Glück einiges an digitaler Unterstützung aus dem Zeitalter der Liebe 4.0.
Unsere Top 5:

  1. WhatsApp Chats
  2. WhatsApp Telefonie
  3. Lovense Remote
  4. Skype
  5. Äh nicht digital aber analog: Postkarten

WhatsApp ist unser absoluter Favorit gewesen, denn auch im Berufsalltag ist eine kurze Nachricht zwischendurch immer mal drin. Insgesamt haben wir in 9 Monaten 37789 Kurznachrichten hin und her geschrieben, wobei ich die etwas größere Plappertante war (52%:48% – Er behauptet wenn man die Zeichenanzahl vergleichen würde käme man wohl eher bei einem 2:1 Verhältnis heraus). Das sind so ca. 140 Nachrichten pro Tag. Da kann man dann schon einiges an Infos rüberbringen. Zusätzlich haben wir ca. 500 Fotos mit mehr oder weniger jugendfreiem Inhalt hin und her geschickt und uns so auch bildlich auf dem Laufenden gehalten. So hat er jetzt sicherlich 50 Fotos von dem überragenden Ausblick von meinem Wohnheimsdach und ich bestimmt 20 von seinen Nachbarskätzchen.

Zusätzlich bietet WhatsApp ja inzwischen eine Telefonoption, die auch mit mobilem Datennetz erstaunlich gut funktioniert. Klar man muss sich an ca. 7-sekündige Verzögerung und dreimaligen Gesprächsausfall wegen WLAN-Netzschwankungen im Wohnheim gewöhnen, aber wenn man es dann mal geschafft hat, sich zu einem Telefonat zu verabreden, läuft es trotzdem ganz gut. Gar nicht so einfach, wenn es wegen Arbeit und Zeitverschiebung nur am Wochenende vor 18 Uhr geht, man im Auslandssemester aber natürlich häufig am Wochenende Tages- oder Wochenendausflüge macht. Noch dazu wollten wir uns ja eigentlich möglichst wenig gegenseitig einschränken. Dabei rausgekommen sind ca. 3000 Minuten WhatsApp-Telefonie.

Unsere Nummer drei der Top-Helfer war eine App namens Lovense Remote in Kombination mit einem ferngesteuerten Vibrator. Mehr sei an dieser Stelle zu dem Thema nicht gesagt, aber wer ein Auslandssemester plant sorgt so dafür, dass das gemeinsame Liebesleben auch auf 6500 Kilometern nicht vollständig einschlafen muss. Persönliche Erfahrungsberichte werden an dieser Stelle verweigert, das Internet schafft hier aber sicherlich Abhilfe.

Skype schafft es nur auf Nummer vier und das noch dazu mit einer ziemlich kläglichen Nutzungszeit. Ca. 60 Minuten haben wir mit Videotelefonie per Skype verbracht. Andere Fernbeziehungen nutzen dies wahrscheinlich deutlich exzessiver, aber wir sind beide keine großen Freunde davon sich über einen Bildschirm anzustarren. Falls WhatsApp mal nicht wollte, haben wir Skype bemüht und uns tatsächlich nur einmal zum skypen verabredet. Nur um dann festzustellen, dass es uns beiden nicht so liegt und wir eigentlich mit der WhatsApptelefonie im Zwei-Wochen-Takt besser bedient sind.

Zu guter Letzt kam dann noch die gute alte analoge Postkarte dazu. Besonders dadurch bedingt, dass eine gute Freundin ihrem Freund ständig Briefe schrieb, dachte ich, ich probiere mich auch mal daran, darüber freut man sich ja fast immer noch ein bisschen mehr als über eine Kurznachricht. Schnell musste ich jedoch feststellen, dass ich schon voll im Zeitalter der Liebe 4.0 angekommen und eine absolute Niete im regelmäßigen Postkartenschreiben bin.

Und das Ende der Geschichte: Neun Monate später sind wir uns näher als je zuvor und die Fernbeziehung von 6500km ist auf 650km geschrumpft. Also (fast) ein Happy End

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